Go to page content

Chancen und Risiken der Regulierung mit Decentralized Finance

«Decentralized Finance» begeistert seit einiger Zeit die Fachwelt als die nächste grosse Entwicklung nach Bitcoin und Ethereum. Was steckt dahinter?

Decentralized Finance, oder kurz «DeFi», steht für die Idee, mit Hilfe der Blockchain auch komplexere Finanzdienstleistungen wie Kreditvergabe, Sekundärhandel, Versicherungen oder Portfolio Management dezentral und ohne Finanzintermediäre zu organisieren und es soll effizientere und günstigere Finanzdienstleistungen ermöglichen.

Aber sind komplexere Finanzdienstleistungen wie die Kreditvergabe oder eine Börse nicht zu «komplex», um auf Intermediäre verzichten zu können? Bezeichnenderweise sind auch die heute dominierenden Kryptobörsen, an denen Kryptowährungen gehandelt werden können, vornehmlich zentrale Intermediäre.

Mehrere Milliarden Dollar pro Woche

Bis zur Erfindung von Bitcoin konnten sich viele Leute nicht vorstellen, dass digitale Geld- und Wertpapiertransfers ohne Banken möglich sind. Heute, rund 13 Jahre später, gehören Transfers von Kryptowährungen oder Wertpapier-Token ohne Intermediäre in bestimmten Kreisen bereits zum Alltag.

Auch die Anzahl der DeFi-Anwendungen wächst stetig. DeFi-Börsen, wie Uniswap, Sushiswap oder Curve Finance, gibt es nun schon seit mehreren Jahren. Sie wickeln mittlerweile Transaktionen im Umfang von mehreren Milliarden Dollar pro Woche ab und stellen die Funktionalität einer Börse ohne einen zentralen Intermediär zur Verfügung.

Und tatsächlich funktionieren die wichtigsten dezentralen Börsen bis jetzt robust. Sogar die extremen Schwankungen des Kryptomarkts in diesem Frühjahr haben die Börsen gut überstanden.

Grösse Vielfalt an Finanzdienstleistungen

Bei genauerer Betrachtung ist es nicht verwunderlich, dass es möglich ist, ohne menschlichen Eingriff über dezentrale Protokolle eine Börse zu organisieren. Auch bei zentralen Börsen werden heute vor allem computergestützte Systeme und Regeln eingesetzt. In diesem Sinne bilden dezentrale Börsen eher eine konsequente Weiterführung der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte.

Es ist zu erwarten, dass diese Entwicklung zu weiteren DeFi-Anwendungen aus funktionaler Sicht anhält und wir in Zukunft eine grössere Vielfalt an Finanzdienstleistungen sehen werden. Doch wie stellt sich diese Entwicklung aus regulatorischer Perspektive dar?

Regulatorische Perspektive

Die heutige Finanzmarktregulierung fusst auf der Beaufsichtigung von Finanzintermediären. Doch was passiert, wenn keine Intermediäre mehr da sind? Wer wird Adressat der Regulierung?

Ein Beispiel für diese Art von Problemen haben wir im Bereich der Geldwäschereibekämpfung gesehen, die heute wesentlich auf dem Einbezug von Intermediären basiert. Die Financial Action Task Force (FATF) hat vor einiger Zeit vorgeschlagen, bei dezentralen Strukturen die Software-Entwickler als Finanzintermediäre zu klassifizieren und für die Verhinderung der Geldwäsche verantwortlich zu machen, was zu einem Aufschrei der Privatwirtschaft geführt hat.

Anliegen des Anlegerschutzes und Verhinderung von Missbrauch

Das gleiche Problem stellt sich auch für die Anliegen des Anlegerschutzes und der Finanzmarktstabilität. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Regierungen die Regulierung und aktive Beaufsichtigung der Finanzintermediäre drastisch ausbauen müssen, um die Stabilität zu wahren und die Anleger ausreichend zu schützen. Ohne Intermediäre fehlt nun auch für Aufsichtsbehörden gewissermassen der wichtigste Hebel zur Verhinderung von Missbrauch im Finanzsektor.

Entwicklung spitzt sich zu

Dabei verschärft sich mit der DeFi-Entwicklung ein schon seit mehreren Jahren beobachtbarer Trend: Die Digitalisierung ermöglicht neue Finanzmarktanwendungen, die bei der Formulierung der Gesetze natürlich nicht bedacht worden sind. Diese Fintech-Applikationen im weiteren Sinne reiben sich stark an den geltenden Gesetzen. Bei vielen Projekten ist die Unterstellung unter die Finanzmarkt-Gesetze in der Praxis bei weitem nicht eindeutig.

Die Anforderung an die Finanzmarktbehörden für die angemessene Auslegung der Gesetze stieg dadurch in den vergangenen Jahren stark an. Mit DeFi – ohne eine klare zu beaufsichtigende Organisation – spitzt sich diese Entwicklung weiter zu.

Kontrollverlust und Missbrauchsgefahren

Die grosse Frage ist nun, wie DeFi in Zukunft aufsichtsrechtlich behandelt werden soll. Obwohl es durchaus die Option gäbe, viele DeFi-Applikationen nicht der Finanzmarktregulierung zu unterstellen, ist zu erwarten, dass sich die Aufsichtsbehörden und indirekt die Regierungen in vielen Jurisdiktionen nicht mit dem damit verbundenen Kontrollverlust und den möglichen Missbrauchsgefahren abfinden.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Geltungsbereich der Finanzmarktregulierung in den nächsten Jahren immer stärker auf den DeFi-Bereich ausgedehnt wird. Viele Staaten werden versuchen, jede Form von Tätigkeiten im Umfeld von DeFi-Applikationen als Finanzintermediär zu klassifizieren, wie die FATF dies vorgeschlagen hat.

Diese Vorgehensweise ist jedoch problematisch: Es ist zwar unbestritten, dass DeFi-Anwendungen mit Risiken verbunden sein können, doch ihr Risikoprofil unterscheidet sich grundlegend von intermediärsbasierten Tätigkeiten.

Unnötige Kosten

Die Anwendung eines «alten» Regulierungssystems auf DeFi führt dazu, dass die Risiken nicht angemessen adressiert werden. Zudem ist die heutige Form von Regulierung nicht nur, aber auch wegen der Intermediäre nötig. Ein intermediärsfreies System könnte demgemäss auf diese Teile der Regulierung verzichten.

Wenn die Regulierung also die Nutzung von Intermediären erzwingt, die eigentlich nicht nötig sind, führt dies zu unnötigen Kosten. Und dabei ist gerade die Effizienzsteigerung im Finanzsektor ein zentrales Anliegen jeder Volkswirtschaft.

Bestehende Systeme behindern Innovation

Die Anwendung «alter» Regulierung auf DeFi behindert die Innovation, untergräbt die Vorteile und ignoriert die wahren Risiken. Deshalb führt kein Weg an einer neuen Form von Regulierung für DeFi vorbei: Um die erheblichen Vorteile von DeFi bestmöglich auszuschöpfen und zu nutzen, ist ein neues und differenziert risikobasiertes System zur effektive Bekämpfung von Missbrauch erforderlich, das ohne Intermediäre auskommt und durch den Einsatz von Technologie die Effizienz von DeFi nicht beeinträchtigt.

Der Weg zu einer solchen Regulierung ist jedoch lang. Am besten ist es, wenn sich die Regierungen und Behörden frühzeitig vertieft mit der Technologie, den Chancen und den spezifischen Risiken von DeFi beschäftigen, sie zu verstehen und differenziert betrachten zu können und damit umgehen lernen.

Auch wenn sich die Börsen nach dem Schock im März 2020 zwischenzeitlich erholt haben, bleibt die Unsicherheit für die Weltwirtschaft bestehen. Es ist zu deshalb erwarten, dass Investoren in den nächsten Monaten auch in Startups, Venture Capital oder Private Equity eher zurückhaltend sein werden.

Auch eine andere alternative Assetklasse – Plattformen und Unternehmen, die sich auf die Finanzierung von KMU über Security Token spezialisiert haben – dürfte noch eine längere Durststrecke vor sich haben. Das ist umso bedauerlicher, da sich die Security-Token-Branche just vor Covid-19 dynamisch entwickelt hatte.

Kann die Security-Token-Branche diesen Dämpfer verkraften? Oder wird Covid-19 ihr sogar zusätzlichen Schub verleihen? Tokenisierung bietet gerade jetzt wichtige Alternativen in der Finanzierung und Geldanlage. Aus ökonomischer Sicht sprechen zwei Argumente dafür, dass die Assetklasse weiteren Auftrieb erhält.

Erhöhter Finanzierungsbedarf

Zum einen werden bestehende Unternehmen einen erhöhten Finanzierungsbedarf haben. Unternehmen, die als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen, werden Wachstumskapital suchen, andere benötigen für die Aufrechterhaltung ihres Betriebs Liquidität. Grosse Unternehmen nutzen dafür die klassischen Kapitalmärkte oder Bankkredite, doch für KMU sind der hohe Verwaltungsaufwand, die hohen Umsetzungskosten für den Zugang zum Kapitalmarkt im Vergleich zum relativ kleinen Volumen meistens zu hoch und Bankkredite schwierig zu erlangen.

Für sie bietet die Blockchain grundsätzlich die Möglichkeit, den Prozess zur Ausgabe von handelbaren digitalen Wertpapieren deutlich kostengünstiger und schneller durchzuführen. Dies macht Security Token zu einem attraktiven Instrument, um an Eigen- oder Fremdmittel zu gelangen. Zudem ist zu erwarten, dass der durch Covid-19 ausgelöste Digitalisierungsschub auch die Innovation fördern wird. Dadurch werden – hoffentlich – neue Projekte oder Unternehmen lanciert, die sich über «klassische» Aktien, Anleihen, oder gar innovative neue Finanzprodukte finanzieren lassen möchten.

Grundsätzliches Marktbedürfnis

Security Token bieten auch hier eine schnelle und prinzipiell kostengünstigere Art zur Refinanzierung an. Ein grundsätzliches Marktbedürfnis wäre also gegeben, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen sowie die Verfügbarkeit von Kapital für solche Produkte gegeben wären.

Der zweite Aspekt betrifft die Entstehung eines ausreichend grossen Markts für Finanzierungen über Security Token. Eine Wirtschaftskrise ist vielleicht nicht der richtige Moment, um neue Investitionsformen auszuprobieren. Aber angesichts der anhaltenden Niedrigzinsperiode ist davon auszugehen, dass das Interesse von Anlegern an alternativen Anlagen steigen wird, sobald die weltwirtschaftliche Unsicherheit wieder abnimmt.

Denn Security Token können den Prozess von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zum Sekundärhandel auf ein komplett neues Fundament stellen und so dazu beitragen, dass Anlagen, für die der Zugang zur Finanzbranche zu teuer war, «bankable» werden. Security Token erweitern also das Anlageuniversum für Anleger, wobei die grundlegenden Prozesse ein ähnliches Sicherheitsniveau wie die «klassische» Finanzinfrastruktur aufweisen.

Einheitlicher Rechtsrahmen

Damit das auch in der Praxis umgesetzt werden kann, muss sich jedoch auch das Rechts- und Aufsichtssystem entsprechend weiterentwickeln. Liechtenstein beispielsweise hat mit dem sogenannten Blockchain-Gesetz (Gesetz über Token und VT-Dienstleister, TVTG), das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, schon ein Instrument geschaffen, das Anlegern umfassende Rechtssicherheit gibt.

Hier ist es damit nun möglich, digitale Wertpapiere direkt und oh-ne Umweg über ein physisches Wertpapier zu erzeugen. Für Investoren bedeutet dieser Schritt, dass sowohl der Besitz sowie die zivilrechtliche Übertragung von Security Token die gleiche Rechtssicherheit aufweisen kann, wie wir sie aus dem traditionellen Finanzmarkt kennen.

Regeln zur Verwahrung

Ein weiterer Aspekt sind die Regeln zur Verwahrung von Security Token durch Dienstleister. Für einen Investor ist es wichtig, dass die Wertpapiere im Konkursfall des Dienstleisters auch vom Konkursvermögen getrennt werden. Mit dem Inkrafttreten des TVTG sind per Gesetz alle Token, also nicht nur Security Token, sondern auch Kryptowährungen oder Utility Coins, vom Vermögen des Dienstleisters separiert. Daneben umfasst das TVTG noch einige weitere Regeln zur Verbesserung der Rechtssicherheit rund um Blockchain-Anwendungen.

Europäische Anbieter von Security Token sehen sich jedoch nicht nur nationalen zivil- und aufsichtsrechtlichen Fragen konfrontiert. Vielmehr müssen in Zukunft einige essenzielle Fragen in Bezug auf die Behandlung von Security Token im Zusammenhang mit dem europäischen Finanzmarktrecht geklärt werden, zum Beispiel die ganz grundlegende, welcher Token genau als Finanzinstrument zu qualifizieren ist. Das ist noch nicht in allen Ländern abschliessend und vor allem einheitlich geklärt.

Gerade angesichts der innovativen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Token ist das aber von sehr grosser Bedeutung. Ebenfalls noch unklar sind die Regeln, ab wann eine Plattform im Umfeld von Primäremissionen von Wertpapieren sich als Finanzdienstleister qualifizieren muss. Solange es hierauf keine Antworten gibt, ist eine grenzüberschreitende Emission von Security Token in Europa mit grossen Rechtsrisiken für die Unternehmen verbunden.

Hohe Hürden

Dasselbe Bild zeichnet sich beim Sekundärhandel ab: Der regulatorische Rahmen für Finanzdienstleister rund um Wertpapieremission und -handel wurde für den traditionellen Finanzmarkt geschaffen. Die Anforderungen an Finanzdienstleister sind deshalb relativ hoch und bilden die traditionellen, umfassenden Geschäftsmodelle ab. Für Security Token-Dienstleister, die meist nur einen kleinen Ausschnitt der Tätigkeiten eines traditionellen Intermediärs machen, sind diese Hürden meist viel zu hoch und mit Blick auf ihr fokussiertes Geschäftsmodell auch nicht angemessen.

Sie versuchen deshalb oft, sich ausserhalb des Finanzsektors zu positionieren, verbunden mit entsprechenden regulatorischen Risiken im europäischen Binnenmarkt. Die Abgrenzung zwischen dem regulierten und dem nichtregulierten Bereich ist angesichts der Vielfalt an Ausgestaltungsformen, die durch die Technologie ermöglicht wird, nicht wirklich einfach – weder für den Regulator noch für die Unter-nehmen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn diese Differenzierung in vielen Ländern immer noch unklar und heterogen gehandhabt wird. So lange kein rechtssicherer und gleichzeitig effizienter und kostengünstiger Sekundärmarkt für Security Token existiert, wird sich die Nachfrage seitens der Investoren in engen Grenzen halten.

Regulatorisches Risiko

Security Token-Dienstleister waren in den letzten Monaten nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive einem Dämpfer ausgesetzt. Vielmehr ist das regulatorische Risiko in Europa für Player in diesem Sektor nicht geringer geworden. Teilweise hat es sich sogar erhöht, da viele Staaten mittlerweile eine eigene Auslegung der Finanzmarktgesetze in Bezug auf Token erarbeitet haben.

Für die Entwicklung der Security-Token-Branche in Europa ist deshalb wesentlich, dass einerseits die bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf die Finanzmarktregulierung so schnell wie möglich beseitigt werden, und andererseits die Finanzmarktgesetze so angepasst werden, dass Dienstleister risiko- und tätigkeitsbezogen reguliert werden. Ohne diese beiden Schritte ist die Entwicklung der Security-Token-Branche von den etablierten Finanzdienstleistern abhängig, die meist nur ein eingeschränktes Interesse an der Emission von Security Token haben.

Eine positive Entwicklung der Security Token-Branche ist aber im Sinne der Wirtschaft wie auch der Anleger. Es bleibt daher zu hoffen, dass die EU-Kommission diese Probleme rasch löst und so die Grundlage für einen prosperierenden Security-Token-Sektor in Europa legt. Dann wäre die zeitliche Verzögerung durch Covid-19 gut genutzt worden.

Autor

Thomas Dünser

Thomas Dünser arbeitet für die liechtensteinische Regierung und ist Leiter der Stabsstelle für Finanzplatzinnovation. Er hat die Entwicklung und Umsetzung des Blockchain-Gesetzes (TVTG) geleitet.